„In erster Linie geht es dann um Leidenschaft“

17.08.2022 | Kölner General-Anzeiger

Köln. Am Donnerstagabend trifft der 1. FC Köln im Hinspiel der Playoffs der Conference League auf den Fehérvár FC. Trainer des ungarischen Erstligisten ist der ehemalige Coach von Germania Dattenfeld (heute TSV Germania Windeck), Michael Boris. Mit dem 47-Jährigen sprach Simon Bartsch.

Von 2008 bis 2010 leitete Michael Boris noch die Geschicke bei Germania Dattenfeld, dem heutigen TSV Germania Windeck. Mittlerweile ist der 47-Jährige Trainer beim kommenden Gegner des 1. FC Köln, dem Fehérvár FC. Über den FC, seine Zeit in Windeck und sein Team in Ungarn sprach Simon Bartsch mit Michael Boris.

Herr Boris, das mediale Interesse an Ihnen scheint gerade in Deutschland größer zu sein als in Ungarn. Täuscht das?
Michael Boris: Das stimmt. Es gibt schon einige Anfragen deutscher Medien. Aber das ist in Köln ja auch kein Wunder: Der FC ist nun mal ein Traditionsverein mit einer riesigen Strahlkraft. Wir stehen jetzt in den Playoffs gegen einen deutschen Verein, befinden uns aber auch im Ligabetrieb. Hier liegt der Fokus aktuell noch auf der Liga. Gerade jetzt in Bezug auf das Spiel gegen Ferencváros (Spitzenreiter der ungarischen Liga, Anm. d. Red.).

Sie sind jetzt seit fast fünf Jahren in Ungarn. Wie sehen Sie strukturell den Unterschied zwischen dem deutschen und dem ungarischen Fußball? Gibt es da noch eine große Diskrepanz?
Boris: Die Stadien sind mittlerweile alle erst- und zweitligatauglich, vom Fassungsvermögen sind sie ein wenig kleiner. Aber insgesamt, von der Eissauna bis hin zu generellen Grundlagen, ist viel mit der Bundesliga vergleichbar.

Jetzt geht es gegen ein Bundesliga-Team, gegen den 1. FC Köln. Wie verfolgen Sie den deutschen Fußball?
Boris: Ich denke, als Profi-Trainer gehört es dazu, dass man auch mal über den Tellerrand schaut und sich nicht nur mit dem ungarischen Fußball auseinandersetzt. Da schaut man sich neben internationalem Fußball allgemein die Bundesliga natürlich auch an.

Wie erleben Sie speziell den 1. FC Köln?Boris: Köln ist natürlich noch einmal etwas Besonderes – mit der Folklore, der Musik. Mein bester Freund kommt aus Bergisch Gladbach, da ist gerade die Musik auch nicht an mir vorbeigegangen. Und in meiner Zeit bei Germania Dattenfeld beziehungsweise Windeck war der 1. FC Köln natürlich auch immer ein Thema. Zumal ich ja auch mit Manuel Glowacz zusammengearbeitet habe, dessen Vater lange beim FC gespielt und später auch im Vorstand gearbeitet hat. Da habe ich schon Berührungspunkte gehabt.

Sie haben von 2008 bis 2010 Germania Dattenfeld (Windeck) trainiert, standen mit der Germania gegen den FC Schalke 04 im Rheinenergie-Stadion in der ersten Runde des DFB-Pokals. Was verbindet sie noch mit Windeck?
Boris: Da gibt es natürlich noch einige schöne Erinnerungen. Mich hat erst vor wenigen Tagen Heinz-Georg Willmeroth (Vorsitzender Germania Windeck, Anm. d. Red.) angerufen, mir zu diesem Erfolg gratuliert und sich gefreut, dass ich nach Köln komme.

In Köln wird seit einem guten Jahr fast ausschließlich über Steffen Baumgart gesprochen, der den Kölner Fußball so verändert, ihm ein neues Gesicht gegeben haben soll. Wie sehen Sie die Veränderung?
Boris: Steffen Baumgart hat sehr schnell verinnerlicht, worum es beim FC geht: in erster Linie um Leidenschaft. Der FC-Fan unterstützt seine Mannschaft unabhängig von der Liga. Die Fans sind immer fasziniert von ihrem FC. Das habe ich damals beim Aufstiegsspiel der Kölner gegen Bochum erlebt. Die Fans lieben die Mannschaft, den Verein. Steffen Baumgart hat es hinbekommen, dass die Mannschaft wiederum versteht, dass sie mit ihrem Fußball die Fans begeistern kann. Dass dabei am Ende des Tages viele Siege herausgekommen sind, ist für den Verein natürlich sehr gut. Wenn die Mannschaft Leidenschaft und Willen auf den Platz bringt, erkennt der FC-Fan das an, selbst wenn man verliert.

Was macht denn das Spielsystem der Kölner so besonders? Das hohe Anlaufen, die Intensität, das ist ja alles nichts Neues. Warum können andere Mannschaften das Spiel nicht einfach kopieren?
Boris: Das hängt natürlich immer vom Kader ab. Natürlich sind viele FC-Fans traurig, dass Anthony Modeste gegangen ist. Er war jetzt aber auch nicht der Spieler, der 90 Minuten lang hoch anlaufen konnte. Wenn man dann im zweiten Jahr seinen Kader nach der eigenen Vorstellung zusammenstellen kann, wie Steffen es jetzt konnte, dann holt man auch Spieler, die hoch anlaufen können, die Vollathleten sind, den Gegner ständig stressen.

Es heißt, Sie spielen auch einen offensiven Fußball. Ketzerisch gefragt: Können Sie den FC am Donnerstag nicht auch einfach hoch anlaufen?
Boris: Vor meiner jetzigen Tätigkeit habe ich bei MTK Budapest gearbeitet. Da habe ich fast ausschließlich mit jungen Spielern trainiert. Dort haben wir auch versucht, den Gegner hoch anzulaufen, ständig unter Druck zu setzen. Aktuell habe ich nicht die Mannschaft, die den FC 90 Minuten lang hoch anlaufen kann. Wir pressen in anderen Zonen. Aber nicht so hoch und nicht so dauerhaft.

Inwiefern haben Sie die Spiele des FC analysiert?
Boris: Ich habe mir die Vorbereitungsspiele angesehen, auch die Spiele gegen Regensburg und Leipzig. Das gegen Schalke war natürlich in Überzahl schwer zu analysieren.

Wie stellen Sie Ihre Mannschaft für den Donnerstag ein?
Boris: Ich denke, wir müssen die erste halbe Stunde gut überstehen. Meine Jungs müssen sich an das Stadion und die Lautstärke und dann aber vor allem an das hohe Anlaufen gewöhnen.

Was erwartet den FC dann aber wiederum in Ihrem Stadion?
Boris: Ins Stadion passen 14.201 Zuschauer. Wir haben schon viele Fans, die uns gut unterstützen und komplett hinter der Mannschaft stehen. Wir spielen sehr gerne zu Hause. Zuletzt haben wir im eigenen Stadion sehr selten verloren.

Rechnen Sie sich denn realistische Chancen aus?
Boris: Wir sind ganz klarer Außenseiter und müssen schon zwei besonders gute Tage erwischen, um etwas Positives mitzunehmen.

Zieht es Sie nach fünf Jahren wieder in die alte Heimat?
Boris: Fakt ist, dass ich dem ungarischen Fußball extrem dankbar bin für die Möglichkeiten, die ich hier bekommen habe. Nach langen Jahren in der Regionalliga kam die Anfrage vom damaligen ungarischen Nationaltrainer Bernd Storck, ob ich mir vorstellen könnte, als U21-Nationaltrainer Ungarns zu arbeiten, was mir viel Freude bereitet hat. Es folgte ein kurzes Intermezzo in Japan, und dann hat man sich in Ungarn daran erinnert, dass ich gut mit jungen Spielern arbeiten kann. So habe ich die Möglichkeit bekommen, Profi-Trainer zu werden. Beim MTK Budapest habe ich meine Chance genutzt, bin mit den jungen Spielern aus der 2. in die 1. Liga aufgestiegen, außerdem sind wir in beiden Jahren ins Halbfinale um den ungarischen Pokal eingezogen. Mittlerweile habe ich in knapp 50 Erstliga-Spielen an der Seitenlinie gestanden. Natürlich gucke ich immer wieder nach Deutschland, denn das ist meine Heimat. Der ungarische Markt wird im Bereich der Trainer nicht so gescoutet. So bin ich immer ein wenig unter dem Radar geflogen.

Wenn Sie den FC ausschalten, könnte sich das aber ändern...
Boris: (lacht) Das könnte vielleicht eine Möglichkeit sein.